Sonntag, 28. Juni 2015

Tolerieren, Respektieren, Glauben. Warum wir glauben - und es nicht wissen (8)



In diesem Sinne sind mit ihrer Arbeit identifizierte Zeitgenossen Berufene im Lutherschen Verständnis. Mit dem Unterschied aber, daß für sie der Beruf kein Mittel ist, um gottgefällig zu leben – sondern Selbstzweck. Die Arbeit als solche ist ihnen heilig. Oder noch einmal anders: Mit ihrer Arbeit identifizierte Subjekte glauben an ihre Arbeit. Und beziehen aus diesem ihren Glauben Selbstachtung.

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Robert Pfaller unterscheidet in Anlehnung an den französischen Psychoanalytiker Octave Manoni zwei Existenzformen des Glaubens: „Bekenntnis(glauben)“ (foi) und „Aberglauben“ (croyance).

Im Falle des Bekenntnisglaubens ist, Pfaller zufolge, das Subjekt selbst mit bestimmten (Glaubens)inhalten identifiziert, und bezieht aus dieser Identifikation mit seinem Glauben Selbstachtung. Dabei kommt es (hier verwendet Pfaller die Terminologie der zweiten Freudschen Triebtheorie) zu einer Zunahme an narzißtischer Libido - auf Kosten sogenannter Objektlibido. Die Zunahme an Selbstachtung geht also, um es wieder in der Alltagssprache zu sagen, mit einem Verlust an (manifester) Lust einher. Der Bekenntnisglaube ist prinzipiell lustfeindlich - und mit asketischen Idealen verknüpft.

Bekenntnis in diesem spezifischen Sinn erinnert an Luthers Worte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auf dem Reichstag zu Worms, und an Max Webers These von der „innerweltlichen Askese“ des Protestanten als Grundlage des modernen Kapitalismus. Auch wenn Luther jene Worte so nicht gesagt haben dürfte, und „innerweltliche Askese“ eher den calvinistischen Protestantismus charakterisiert als den lutheranischen.

Der Glauben jener mit ihrer Arbeit identifizierten, an ihre Arbeit glaubenden, und aus diesem ihrem Glauben Selbstachtung beziehenden Zeitgenossen ist jedenfalls in dieser Sicht ein - Bekenntnisglauben.

Im Unterschied zum Bekenntnis handelt es sich bei jenem von Pfaller „Aberglauben“ genannten Glaubensmodus um einen Glauben ohne Träger. Eine „Einbildung, die niemand für sich [selbst] reklamiert.“1

Mit „Aberglauben“ in diesem besonderen Sinn haben wir es etwa dann zu tun, wenn jemand beteuert, an einen Unsinn wie Astrologie natürlich nicht zu glauben, dennoch aber täglich den unwiderstehlichen Drang verspürt, sein Horoskop zu lesen. Aus einem solchen Glauben, zu dem man sich nicht bekennt, kann man - im Unterschied zum Bekenntnisglauben – natürlich keine Selbstachtung beziehen. Andererseits ist „Aberglauben“ (den Pfaller mit dem Spiel im Sinne Johan Huizingas gleichsetzt), wiederum im Unterschied zum Bekenntnisglauben, „lustfreundlich“.

Nun scheint aber jener - lustfeindliche – Bekenntnisglaube nicht bloß unsere Position der Arbeit gegenüber zu bestimmen, sondern darüber hinaus unser Verhältnis zu einer Reihe anderer Lebensbereiche.

Im Bereich der Politik etwa entspringt die Sorge des an die Tugend der politischen Korrektheit glaubenden Zeitgenossen um die Korrektheit und „Sauberkeit“ seiner politischen Äußerungen - seiner Sorge um Selbstachtung. Genauer: seinem Bemühen, die Achtung seines Über-Ichs zu gewinnen. Und seiner narzißtischen Sorge um das Heil und die Reinheit seiner Seele - die ihn objektiv-materielle gesellschaftliche Zusammenhänge ausblenden läßt.

Auch das Bekenntnis zu „öko-ideologischen“ Glaubenssätzen à la:

„Wenn jeder von uns seinen Beitrag leistet, also auch ich, können wir alle - kann also auch ich - die (Um)Welt retten!“

befördert die Selbstachtung des Bekennenden, der sich als zugleich bescheidenen und großartigen Retter der (Um)welt phantasiert. Der Gewinn an narzißtischer Libido geht auch hier auf Kosten politischer Urteilskraft: Die Illusion, das Heil der Welt hinge von meiner Tugendhaftigkeit ab, resp. von der Tugendhaftigkeit „jedes Einzelnen“, reduziert Gesellschaft auf die Summe vieler kleiner Ichs – bei Leugnung der Bedeutung, ja der Existenz gesellschaftlicher Zusammenhänge und Strukturen. Zugleich geht solcher ökologischer Bekenntnisglauben mit einem Versiegen von Lustressourcen einher, die den, im ökologischen Diskurs immanenten, asketischen Idealen zum Opfer fallen.

wird fortgesetzt

Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a.M. 2002, S. 61

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