Mittwoch, 25. Februar 2015

Vögeln ist schön – warum wir aber nicht fliegen (5)


Urhorde
In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das einst zur Revolution gegen den Urvater führte. In der Totemmahlzeit - im Ritual/ in der Kultur - kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung: Das reumütige Gedenken an den Ermordeten ermöglicht die daran anschließende, symbolische und triebbefreiende Wiederholung des Mordes. Eine Reinszenierung, die den triebfeindlichen Aspekten der Kultur, eben jener Reue und Schuld, entgegenwirken soll, damit sie uns nicht (ganz) überwältigen.

Hier haben wir es mit jener Nahtstelle zwischen Subjekt und Gesellschaft zu tun, die Adorno im Blick hatte, als er davon sprach, daß Freud, der

„die Soziologie [...] als angewandte Psychologie verstanden wissen wollte, [...] paradoxerweise in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches wie das Inzestverbot [und] die Verinnerlichung [...] primitiver Hordenformen gestoßen ist.“1

Sollte es sich bei archaischen Formationen, wie der in den „innersten psychologischen Zellen“ – also im Unbewußten - verinnerlichten Urhorde, um Gesellschaftliches handeln, dann hätten wir es mit einem in der Gesellschaft gegenwärtigen Archaischen zu tun. Genauer: mit der immer wiederkehrenden, unbewußten Reproduktion des Archaischen in der Gesellschaft. Die vielen Varianten der triebbefreienden Funktion der Kultur (in Ritual, Spiel, Kunst, Religion, Gesetz ...), folgten dann - als symbolisch verdichtete Wiederholung jenes Ur-Mordes - einem historisch-gesellschaftlichen Wiederholungszwang.

Die symbolische - triebbefreiende - Wiederholung jener Ur-Revolution in der Kultur steht aber (und das mag auch für Revolutionen im üblichen Sinn gelten) noch in einem anderen Entstehungszusammenhang, und hat noch eine andere Funktion als die, den triebunterdrückenden Kräften der Kultur entgegenzuwirken: Die Revolution gegen den Urvater mußte scheitern, zum einen, weil nicht alle Brüder zum „neuen Urvater“ werden konnten. Und weil es einige, andererseits, sehr wohl werden konnten. Schließlich muß der Urvater selbst irgendwann einmal Sohn gewesen sein.

Demnach kommt als weitere Entstehungsquelle triebbefreiender (resp. -gebietender) Institutionen in der Kultur zum einen die – im oben genannten Sinn „archaische“ - Sehnsucht nach dem vollen, nur dem Urvater zustehenden Genuß in Betracht. Zum anderen der Neid der Beherrschten auf den - vermeintlichen – vollen Genuß der Herrschenden, der „neuen Urväter“.

wird fortgesetzt

(1) Theodor W. Adorno, Soziologische Schriften I. In: ders., Gesammelte Schriften, Bd 8, Frankfurt am Main. 2003, S. 88

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