Donnerstag, 21. August 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft - Plädoyer für Psychoanalyse (11)



„Da muß ich widersprechen“, sagt der Lösungsorientierte, „die Analysandin hat ein massives Zeitproblem beim Kreativsex. Sie kommt nicht unpünktlich - sie kommt überhaupt nicht.“

„Eine treffende Formulierung“, sagt die Theoretikerin nach Abklingen des allgemeinen Gelächters, „Hier ist die Verweigerung kompromißlos. Sie kommt überhaupt nicht. Warum? Weil ihr Mann ihr die Verwirklichung ihrer ureiegnesten sexuellen Phantasien und Wünsche ermöglichen will. Der ‚Normalsex’ war nicht die Offenbarung. Aber, so absurd das klingen mag: Die Analysandin lief dabei nicht Gefahr, ihre Wünsche zu verwirklichen. Und die Distanz zwischen den sexuellen Normen ‚dort draußen’ und den Wünschen ‚da drinnen’ zu verlieren.

In einer durch und durch vom Leistungsprinzip beherrschten Welt ist jede Wirklichkeit den Anforderungen der Arbeit nachempfunden - und jeder Wunsch, der Wirklichkeit wird, jenen Arbeits-Anforderungen ausgeliefert. Der Verweigerungsimpuls, den die Verwirklichung ihrer Wünsche regelmäßig bei der Analysandin auslöst, ist - so betrachtet - ganz folgerichtig.

Für das Zeitproblem in der Analyse gilt das noch in einem spezifischeren Sinn: Die Psychoanalyse ist nicht bloß ein Segment der gesellschaftlichen Wirklichkeit, welches - indem sie die Wiederherstellung der Arbeitskraft der Analysanden betreibt - der Arbeit zuarbeitet. Psychoanalyse ist Arbeit. Und weil sie Arbeit ist - real, nicht bloß im Sinne der Übertragung - können die Leistungsanforderungen und Identifizierungs-Gebote, die unsere Gesellschaft beherrschen, am ‚Arbeitsplatz Psychoanalyse’ bei ihrer Entstehung beobachtet und bewußt gemacht werden. Und - von wegen Identifizierungs-Gebot: Auch unser Kollege“, die Theoretikerin macht eine Kopfbewegung in Richtung unseres Analytikers, „macht nicht einfach nur seinen Job. Wie wir alle, ist auch er mit seiner Arbeit identifiziert, und bezieht daraus seine Selbstachtung. Das Zeitproblem der Analysandin ist daher auch für ihn ein Problem. Es kränkt ihn.“

„Gut“, sagt der Lösungsorientierte „Danke. Aber - was machen wir mit der Analysandin?“

„Falsche Frage“, sagt die Theoretikerin, „daß Sie ‚machen’ sagen, zeigt, wie sehr Sie, wie wir alle, mit jenen Arbeitsanforderungen identifiziert sind. Arbeitsanforderung ist übrigens ein Begriff, den Freud verwendet, um den ‚Trieb’ zu erklären. Aber lassen wir das. Wir sind beim Zeitproblem der Analysandin mit einem gesellschaftlichen Problem konfrontiert – Freud hätte gesagt, mit einem Problem der Kultur. Ohne eine kritische Theorie der Gesellschaft, der Arbeit, der Familie – vor allem aber der gesellschaftlichen Dimension des Unbewussten, ohne Kulturtheorie und Kulturkritik also, ist eine Analyse, die diesen Namen verdient, nicht möglich. Weder bei unserer noch bei anderen Analysanden.

Freud sei, sagt Adorno, ‚in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches gestoßen’.

Nun ist aber nicht nur die Psychoanalyse - stets - mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, auch die Gesellschaft sollte ihre Probleme mit der Psychoanalyse konfrontieren.

Warum es Antisemitismus gibt, wie der Faschismus die Massen dazu bewegt, nicht nur ihre Unterdrückung sondern auch ihren Untergang zu begehren, warum sie – die Massen - heute Parteien wählen, deren Politik ihren Interessen diametral entgegengesetzt ist - und warum wir uns umso mehr ausbeuten lassen, je mehr wir mit unserer Arbeit identifiziert sind – diese und andere gesellschaftliche Rätsel, lassen sich ohne Psychoanalyse nicht lösen.

Dem Prozeß der Psychoanalyse als solchem ist es um Gesellschaft zu tun. Nicht nur um der gesellschaftlichen Dimension des Unbewußten - sondern auch um der unbewußten Dimension der Gesellschaft, ohne deren Berücksichtigung gesellschaftliche Emanzipation zum Scheitern verurteilt ist – oder aber in Katastrophen mündet.  

Die Psychoanalyse von der wir reden, ist nicht die real existierende. Die Rede ist vielmehr von einer Psychoanalyse, die sich nicht bloß auf ihre kulturkritische, sprich gesellschafskritische Tradition besinnt – als auf einen von der Klinik getrennten Teilaspekt - sondern eine Psychoanalyse die in der analytischen Behandlung dem Analysanden und seinem Unbewußten nicht therapeutisch begegnet, sondern kulturkritisch.“

Ende

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