Dienstag, 3. September 2013

Zizek in Teheran (56)


„Öffnen sollte sich aber laut Vater nicht nur die Gesellschaft oder das Gefängnis, indem es sich Schritt für Schritt demontierte und indem man es zu guter Letzt demolierte - öffnen sollten sich auch die Gefangenen.

Therapie statt Strafe

war die Devise des Vaters (die er einem deutschsprachigen Buch entnommen hatte). Nicht daß er geglaubt hätte, die Gefangenen seien krank, oder kränker als der Rest der Gesellschaft, in den Gefangenen zeige sich vielmehr die Krankheit der Gesellschaft als Symptom, gelänge es, die Gefangenen zu heilen, heile man - rückwirkend - die Gesellschaft, so der Vater. Statt „heilen“ sagte er übrigens, wenn er von den Gefangenen redete, „öffnen“: Gelänge es, die Gefangenen zu öffnen, öffne man – rückwirkend - die Gesellschaft.

Aus Eigeninteresse und wegen den Gefangenen hatte sich Vater neben Yoga mit diversen Psychotherapien beschäftigt, vor allem mit Mal- und Gestaltungstherapie, Tanz- und Musiktherapie, sie alle spielten in der Anfangsphase seiner Arbeit mit Gefangenen eine wichtige Rolle. Mit der Zeit veränderten sich aber seine Ansichten über den Umgang mit den Gefangenen. Kunst – und er verstand sich als Architekt ja als Künstler – sollte nicht nur Mittel zum Zweck sein, also zur Heilung und Öffnung, sondern selbst Zweck.

Nun lautete die Devise:

Kunst statt Therapie
statt
Therapie statt Strafe
oder auch:
Kunst statt Strafe

Nach und nach hatte sich die anfängliche Begeisterung des Vaters für Psychotherapie in Skepsis verwandelt, der Psychotherapie warf er vor, den Prozeß der Öffnung der Gesellschaft nicht zu unterstützen, vielmehr der Öffnung der Gesellschaft entgegenzuwirken, da sie den Menschen, Gefangenen und Nicht-Gefangenen, dazu anhalten würde, sich in die Gesellschaft, so wie sie sei, zu integrieren. So bliebe alles, wie es sei.

Wenige Tage vor seiner Emigration nach Bombay hielt er vor der Gesellschaft für Forensik einen Vortrag,

Warum uns Psychotherapie nicht weiterbringt,

dieser löste in Kreisen der Teheraner Rechtsmediziner, Kriminalsoziologen und Gerichtspsychologen einen Skandal aus. Der

Teheraner Bundesverband der Psychotherapeuten,
TBVP,

erstattete Anzeige wegen Geschäftsschädigung.

wird fortgesetzt

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