Mittwoch, 25. September 2013

Warum uns Israel erregt (8)


Könnte es nicht sein, fragte ich mich, daß wenn wir - wie Horkheimer/Adorno und Lacan es getan haben -, das Wort „Opfer“ in dieser Weise wörtlich nehmen, der Antisemitismus, der Holocaust, Israel und am Ende auch jene Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft in einem andern Licht erscheinen? Ich fragte mich, um genauer zu sein, ob das Wörtlichnehmen des Opferbegriffs helfen könnte, den Zusammenhang zwischen dem Holocaust und jener Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft aufzuklären - einen Zusammenhang dessen Existenz ich spürte, ohne in der Lage zu sein, ihn konkret zu fassen.

Als unspezifisches - wenn auch gigantisches - „Böses“ aufgefaßt, wäre der Holocaust jedenfalls keine Erklärung für jene Unfähigkeit. Denn als solche erzeugt die Tatsache, daß jemandem etwas Böses passiert ist, keineswegs die Vorstellung, jene Person habe sich – in Reaktion auf jenes Böse – in einen guten oder bessereren Menschen verwandelt. Im Gegenteil: Spontan schreiben wir jemandem, dem Böses widerfährt, doch eher Rachegefühle zu, also die Tendenz, Böses mit Bösem zu vergelten. Je böser das Böse, das ihm widerfährt, als desto böser stellen wir uns seine Rache vor. Seine Rache - und in letzter Konsequenz auch ihn, die geschädigte Person, selbst: Als Reaktion eines Geschädigten auf das Böse, das ihm ein anderer angetan hat, kennt unsere Alltagssprache die Wendung: „Ich bin böse (auf X, weil er mir Y angetan hat)“.

Durch Schaden mag man klug werden (oder auch nicht), gut wird man durch Schaden jedenfalls nicht.

Von den Juden aber nehmen wir an, daß sie jenes „absolut Böse“ zu „absolut Guten“ verwandelt haben soll - ich sage „wir“, denn im Zuge meiner Auseinandersetzungen mit jener Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft wurde mir klar, daß ich mit jener Unfähigkeit keinesfalls allein war. „Ausschwitz war keine Schule des Gutmenschentums“, schrieb die Philosophin Isolde Charim 2006 an die Adresse genau dieser (Erwartungs)haltung, wie sie sich in den Debatten angesichts des Libanonkriegs wieder einmal artikuliert hatte.

Sehen wir uns das Wörtlichnehmen des Opferbegriffs also genauer an.

Ich behaupte, daß keine Geschichtsauffassung, die sich auf hegelo-marxistische Prämissen stützt, von diesem Wiederauftreten Rechenschaft zu geben imstande ist, bei dem es sich zeigt, daß den dunklen Göttern zu opfern, etwas ist, dem, in einer Art monströsen Befangenheit, nur wenige nicht erliegen. 

scheibt Jaques Lacan - in seiner gewohnt monströsen Art Sätze zu konstruieren - an der bereits erwähnten Stelle über den Holocaust.

wird fortgesetzt

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