Mittwoch, 7. November 2012

Zizek in Teheran (17)

„Das Problem, das bei der Verknüpfung mit der Starken Materie auftreten kann, ist daß das BCI es nicht schafft, den Inhalt des Buches auszulöschen - und sich dieses, mit der Starken Materie verknüpft, dem Bewußtsein erst recht aufdrängt.“

„Das halte ich, mit Verlaub, für das geringste Problem“, sage ich, „das Problem ist die Starke Materie selbst. Auch wenn es das dritt- oder viertschlimmste Erlebnis sein mag, an das sich das Mädchen erinnert. Wenn Ihr die Starke Materie verstärkt, macht Ihr das Mädchen fertig. Ich bin Psychonalytiker.“


„Ich weiß“, sagt Schirin.

Weil sie aufsteht, und sich in die Tiefe des Hauses des Vergesens begibt, d.h. in die Tiefe dieses Raumes, aus dem viktorianischen England. Und verschwindet im Dunkeln.

Nochmal: Weil sie aufsteht und sich in die Tiefe des Hauses des Vergesens begibt, habe ich keine Gelegenheit, sie zu fragen, ob sich

Ich weiß

auf die Tatsache bezieht, daß ich Analytiker bin. Oder auf den seelischen Schaden, den die verstärkte Starke Materie den Hirnen der islamischen Mädchen zufügen kann.

Sie kommt zurück und hält eine zweite, ebenfalls hellbraune Trockenhaube in der Hand. Den sie mir auf den Kopf setzt. Ich sitze inzwischen auf einem der beiden großen und blauen Feauteuils, oder Ohrensesseln, links und rechts des Beistelltisches. Aus den 70er Jahren.

„Ich zeige es Ihnen.“

Schirin geht zu dem altehrwürdigen, unendlich hohen Regal, Du erinnerst Dich, Leser: Mit den unendlich vielen, altehrwürdigen Büchern, sie scheint dort seine Tastatur zu bedienen. Genau sehe ich es - versunken in dem Feauteuil, aus dem viktorianischen England, und unwillig, mich auch nur ansatzweise zu erheben - nicht.

Schirin setzt sich in den anderen Feauteuil, links von mir, zwischen uns der Beistelltisch, aus den 70ern, auf dem die erste Trockenhaube steht, Kopftuch trägt sie längst nicht, und setzt sich die Trockenhaube auf. Wie eine Königin sich krönt. Es kann los gehen.

„Ich zeige es Ihnen“, wiederholt Schirin, „anhand eines Gedichtes unseres Hafes“. Oder sagt sie eines Gedichtes Hafisens, wie Rückert und Goethe gesagt haben würden? Aber sie spricht ja die Sprache Teherans.

Hafes, werter Leser ist der berühmetste und beliebteste und beste Teheraner Dichter. Siehe Goethe, West-Östlicher Divan, Rückert, Hammer-Purgstall etc. Interessiert Dich nicht wirklich. Macht auch nichts.

Alla ya ayo ha Saghi
Adar ka’ssan va Navelha
Ke eschgh assan nemud aval
Vali oftad moschkelha

Holla Saki, reiche mir den Krug
Anfangs schien die Liebe leicht,
Die mich mit Beschwernis schlug

Das war die Stimme des Computers des BCI des Hauses des Vergessens der Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher. Eine angenehme Stimme, leicht sonor, wie die Radiostimmen, männlich, unter dem Kaiser. Rasiert. Mit dunklem Sakko. Und Krawatte.

Offenbar sind Schirins und meine Trockenhauben, d.h. Elektrodenhauben, parallelgeschaltet. Schirin hat mich an ihr Hirn angeschlossen. So daß ich die Radiostimme, die sonst nur sie hören würde, auch höre. Was hättest Du, werter Leser, wenn ich gesagt hätte: Schirin hat mich an ihr islamisches Mädchenhirn angeschlossen, gedacht?

Beide Elektrodenhauben sind von Elektroden übersät. Aber weder an meiner noch an Schirins Haube hängen Kabeln. Alles sehr magisch hier, im Internat Islamischer Mädchen. Das BCI des Hauses des Vergessens scheint mit Funkstrom zu arbeiten. Monitore gibt es nicht.

Schirin will ein Gedicht vergessen. Um es mir zu zeigen. Will mir ein Gedicht vergessen, hätte ich gesagt. Die erste Strophe war schon der erste Abschnitt. Die angenehme, männliche Stimme fordert Schirin jetzt auf, an das intensivste Erlebnis zu denken, das sie je hatte.

wird fortgesetzt

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